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Konflikte austragen und zu gemeinsamen Lösungen einladen

Henning Heiß wirbt für eine Integrationsarbeit mit langem Atem. Der Landrat erläutert im Interview die Hintergründe eines Integrationskonzepts, das der Landkreis Peine 2022 vorgelegt hat.


Welche Kernannahme liegt dem Integrationskonzept des Landkreises zugrunde?

In drei Sätzen: Integration ist ein fortlaufender, oft mühsamer Prozess, in dem Einheimische und Zugewanderte aufeinander zugehen müssen. Erfolge in diesem Prozess liegen im ureigenen Interesse Deutschlands, das auf Zuwanderung angewiesen ist. Wir sollten sie gegen rechte Hetze ebenso verteidigen wie gegen jene, die hinter jeder Kritik an Mitbürger:innen mit Zuwanderungsgeschichte Rassismus wittern.

Dröseln wir das der Reihe nach auf. Sie beobachten also eine defizitäre Wahrnehmung von Integration?

In der breiten Öffentlichkeit entsteht mitunter der Eindruck, Integration vollziehe sich in Schüben: Menschen fliehen zu Tausenden aus ihrer Heimat so wie 2015 aus Syrien und 2022 aus der Ukraine, Staat und Zivilgesellschaft helfen bei der Suche nach Wohnung und Arbeit und ermöglichen den Spracherwerb und ein paar Jahre später zieht man Bilanz. Alle, die mit Integration zu tun haben, wissen, dass die besonders schwierigen Aufgaben oft erst an diesem Punkt beginnen und sich über Generationen erstrecken. Diese Tatsache muss die Politik den Bürger:innen vermitteln. Außerdem müssen wir die nötigen Strukturen schaffen, damit Integrationsarbeit auch dann weitergeht und Anerkennung findet, wenn sich die Medien längst wieder anderen Themen zugewendet haben.

Worin liegen die „besonders schwierigen Aufgaben“?

Über eine berufliche Perspektive und zwischenmenschlichen Kontakte hinaus gehört es zu einer gelungenen Integration, unsere Werte und Normen zu verinnerlichen und sich zugehörig zu fühlen. Wenn ich von Zugewanderten höre „Wir sind schon so lange hier, nun gewöhnt euch endlich an uns“ oder wenn mir Deutschstämmige sagen „Die Ausländer sind schon so lange hier, die sollen endlich mal werden wie wir“, dann drückt sich darin jeweils die Identifikation mit hermetisch abgeriegelten Subkulturen aus. Dagegen müssen wir uns wehren. Unsere Werte stehen im Grundgesetz, und zu dessen Beachtung sind nicht ausschließlich Zugewanderte aufgerufen, sondern auch alle Deutschen.

Wie können wir uns wehren und wer ist „wir“?

Ein wesentlicher Aspekt besteht darin, dass Einheimische und Zugewanderte einander respektieren, aber auch kritisch hinterfragen. In Gesprächen mit Menschen mit Migrationsgeschichte höre ich gelegentlich, dass viele Deutsche schon auf pure Merkmale einer fremden Kultur und Religion aggressiv reagieren. Jede:r couragierte Bürger:in sollte in solchen Situationen sofort klarstellen, dass es diese Landsleute selbst sind, die gegen den Geist des Grundgesetzes verstoßen. Dazu ein eigenes Erlebnis: In einer Apotheke bei uns in Peine weigerte sich ein Kunde lautstark, von einer Angestellten mit Kopftuch bedient zu werden. Die hinzugerufene Apothekerin schmiss den Schreihals achtkantig raus. Bravo! Genauso klare Ansagen wünsche ich mir beispielsweise aber auch gegenüber Männern mit konservativen muslimischen Wertvorstellungen, die Lehrerinnen oder weibliche Vorgesetzte pauschal ablehnen. Zu solchen Vorkommnissen wird aus falsch verstandener Toleranz zu oft geschwiegen.

Welche weiteren Aspekte möchten Sie nennen?

Es bedarf der Begegnung und Teilhabe. Am besten funktioniert das auf kommunaler Ebene derzeit in Vereinen. Vor allem der Sport hat eine ungeheuer integrative Wirkung. Auch die freiwillige Feuerwehr leistet – gerade bei uns auf dem Land – Integrationsarbeit, stößt aber immer wieder auf Vorbehalte oder Desinteresse. Leider ist es uns im Landkreis bisher auch zu wenig gelungen, Menschen mit Migrationsgeschichte für öffentliche Ämter zu begeistern. Wir brauchen Gemeinderät:innen und Kreistagsabgeordnete, die Brücken bauen. Dafür werben wir im Landkreis.

Sie sprachen von den nötigen Strukturen. Was meinen Sie konkret?

Wir gründen beispielsweise Bürger:innenforen und veranstalten alle zwei Jahre eine Integrationskonferenz. Dort werden Konflikte ausgetragen, Erfolgsmodelle vorgestellt und lokal wirksame Maßnahmen besprochen. Außerdem haben wir im Landkreis die Stellen von Sozialarbeiter:innen entfristet, um die Integrationsarbeit zu verstetigen. Es kann nicht immer nur darum gehen, ad hoc und ein paar Monate lang Geflüchtete zu versorgen. Vielmehr brauchen die Gemeinden Integrationsbegleiter:innen und letztlich fest installierte Integrationsbeauftragte als Ansprechpartner:innen für alle. Nicht zuletzt verbessern wir die Zusammenarbeit zwischen den vielen Akteuren, seien es die Dezernate des Landratsamts, die Agentur für Arbeit oder regionale Unternehmen. Bei alledem ziehen wir eine Lehre aus mehreren Jahrzehnten Integration in Deutschland: Wir beteiligen Einwander:innen am Prozess, ganz nach der Devise „Redet nicht nur über uns, sondern mit uns“.

„Civitas – gesellschaftliche Teilhabe im Landkreis Peine“

Sechs Jahre nach der Flüchtlingskrise 2015 plante der Landkreis Peine einen Abschlussbericht zur Integration. Herausgekommen ist ein Konzept für die Zukunft, denn unter Integration kann es nach Ansicht der Autorin keinen Schlussstrich geben. In dem 79-seitigen Dokument legt der Landkreis die Basis für Antworten und Maßnahmen für alle vier Dimensionen der Integration (siehe Grafik). Das Konzept sieht unter anderem vor, die Integration in drei Phasen zu verstetigen und zu professionalisieren.

 
Quelle: Civitas, Magazin zur gesellschaftlichen Teilhabe im Landkreis Peine
  Bildrechte: SPD Peine

Henning Heiß ist seit 2021 Landrat im Landkreis Peine

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