Als Friedensbotschafter im Jemen unterwegs – der blinde Judoka Shugaa Nashwan
Sein Name bedeutet „Mut“. Und tatsächlich ist der 23-jährige Judoka und Psychologie-Student Shugaa Naswhan ein durch und durch mutiger Mensch. Wegen einer angeborenen Augenerkrankung ist Shugaa annähernd blind. Nur der weiße Stock verrät, dass der junge Athlet, der in Hannover lebt und trainiert, so gut wie nichts sieht. Doch das vergisst man völlig, weil er sich beim Besuch zum Gespräch absolut sicher und zielgerichtet in seiner Wohnung bewegt.
Shugaa wurde 1997 im Jemen geboren, als drittes Kind von insgesamt neun Geschwistern. Auch seine älteste Schwester leidet an einer fortschreitenden Augenerkrankung. Wegen der besseren medizinischen Versorgung reisen vier der Geschwister mit dem Vater und der deutschen Stiefmutter nach Deutschland. Shugaa ist damals fünf Jahre alt. Doch nach einiger Zeit zieht es seine Geschwister und den Vater wieder zurück in den Jemen. Aber Shugaa gefällt es in Deutschland. Er bleibt. Die Stiefmutter kümmert sich um ihn.
Später findet er in einem Internat für blinde und sehhinderte Menschen so etwas wie eine Ersatzfamilie. Dort entdeckt er seine Liebe zum Judo und macht Abitur. Der Judo-Pädagoge Markus Zaumbrecher wird in dieser Zeit sein „Judo-Vater“. Der erinnert sich: „Neben seiner sportlichen Leistung tat sich Shugaa auch durch sein besonderes soziales Engagement hervor, er organisierte Unternehmungen und wurde zum Fürsprecher seiner Mitschülerinnen und Mitschüler“. Mit ihrer sehr internationalen Judo-Mannschaft lebten sie nicht nur Integration, sondern auch Inklusion. Sie nahmen teil an etlichen Judo-Kämpfen gegen Sportlerinnen und Sportler ohne Behinderung.
Als Teenager ist Shugaa zeitweise hin- und hergerissen zwischen seiner jemenitischen und seiner deutschen Identität. „Als ich jünger war, habe ich mich immer stark mit meiner Rolle in meiner arabischen Ursprungsfamilie identifiziert, mit meinen Pflichten als ältestem Sohn. Später distanzierte ich mich mehr und mehr von meiner Familie.“ Inzwischen nähert er sich ihr wieder an. Auch räumlich sind sie einander wieder näher. Denn als 2015 im Jemen der Krieg ausbricht, kommen seine Mutter und fünf Geschwister im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland. Bis auf seine beiden älteren Schwestern, die zu der Zeit bereits volljährig sind und daher nicht aufgenommen werden. Shugaas älteste Schwester, die ebenfalls blind ist, flieht nach Ägypten. Die andere bleibt zunächst im Jemen. Um beide macht sich Shugaa immer wieder große Sorgen.
Er wünscht sich nichts sehnlicher als Frieden in seinem Geburtsland Jemen. Das Projekt „Frieden durch Sport“ ist geboren. Im August 2020 geht Shugaa für vier Wochen in den Jemen, wo sich nach UN-Angaben derzeit die größte humanitäre Katastrophe der Welt abspielt. In der Hauptstadt Sanaa, die unter der Kontrolle der Huthi-Rebellen steht, zieht er eine kleine Judo-Olympiade für Kinder und Jugendliche auf. Unterstützt wird er dabei vom jemenitischen Olympioniken Ali Khousrof. „Wir wollten zeigen, dass wir ohne Waffen kämpfen. Judo ist der sanfte Weg“, sagt Shugaa Nashwan. Er möchte ein Zeichen der Hoffnung setzen und den Kindern eine Alternative zu Krieg und Zerstörung bieten, die für sie zum Alltag gehören.
Für Shugaa Nashwan ist diese Reise, die durchaus mit Gefahren verbunden war, nur der Anfang. Er will das Projekt weiter ausbauen, um die Öffentlichkeit auf den Jemen aufmerksam zu machen. Damit die Menschen dort und der anhaltende Krieg, unter dem die Zivilbevölkerung leidet, nicht vergessen werden.
Der blinde Judoka Shugaa Nashwan hat sich für die diesjährigen Paralympics in Tokio, die am 24. August 2021 beginnen, qualifiziert.
Wenn Sie mehr von Shugaa Nashwan erfahren wollen, hören Sie gern in unsere Podcastfolge mit ihm herein: https://gruenkohl-mit-pita.podigee.io/
Mehr über das Projekt „Frieden durch Sport“: https://sugar-nashwan.de/sei-mutig/