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Studie zur Lebenssituation und den Zukunftsplänen der Geflüchteten aus der Ukraine

Mehr als eine Million Menschen sind aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Doch wie geht es ihnen inzwischen? Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat zwischen August und Oktober 2022 – gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und dem Sozioökonomischen Panel – über elftausend von ihnen zu ihrer Lebenssituation in Deutschland befragt. Nunmehr haben die beteiligten Institute die Langfassung einer Gemeinschaftsstudie vorgelegt, in der die Ergebnisse der Befragung im Detail präsentiert werden.


Lesen Sie hier die die wichtigsten Ergebnisse:


Fluchtmotive und der Weg nach Deutschland

  • Nahezu alle nach Deutschland geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer gaben an, die Ukraine wegen des Krieges verlassen zu haben (96 %).
  • Die meisten ukrainischen Geflüchteten kommen aus den stark vom Krieg betroffenen Regionen aus dem Norden, Osten und Süden des Landes einschließlich der Hauptstadt Kiew.
  • Der wichtigste Grund, nach Deutschland zu ziehen, war für die meisten ukrainischen Geflüchteten, dass bereits andere Ukrainerinnen und Ukrainer, Familienangehörige oder Freunde und Bekannte in Deutschland leben (60 %).
  • 80 Prozent der ukrainischen Geflüchteten sind gemeinsam mit Kindern (60 % mit eigenen Kindern) oder anderen Familienangehörigen nach Deutschland eingereist.
Demografische und sozialstrukturelle Merkmale
  • Insbesondere jüngere Frauen sowie Mütter mit Kindern und Jugendlichen suchen Schutz in Deutschland. Unter den 20- bis 70-jährigen Geflüchteten sind 80 Prozent Frauen. Männer verlassen die Ukraine signifikant häufiger, wenn sie verheiratet sind.
  • Gemessen am Bildungsniveau in der Ukraine sind die ukrainischen Geflüchteten in Deutschland eine selektive Gruppe. Allein 72 Prozent der Geflüchteten besitzen einen tertiären, meist akademischen Bildungsabschluss.
  • Überproportional häufig sind Personen geflohen, die vor der Flucht Berufe mit höheren Anforderungen und größerem Verantwortungsbereich ausgeübt hatten.
Ankunft und Verbleib
  • Drei Viertel der ukrainischen Geflüchteten fühlten sich bei ihrer Ankunft in Deutschland willkommen.
  • 76 Prozent der ukrainischen Geflüchteten, welche in Einwohnermeldeämtern gemeldet waren, verfügen zum Befragungszeitpunkt bereits über eine Aufenthaltsgewährung nach §24 Aufenthaltsgesetz, weitere 18 Prozent über eine Fiktionsbescheinigung.
  • Die Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten (74 %) ist direkt nach der Ankunft in private Wohnungen gezogen, mehr als die Hälfte bewohnt diese allein oder mit ebenfalls geflüchteten Familienangehörigen.
  • Knapp die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten möchte für einen begrenzten Zeitraum in Deutschland bleiben, die Mehrheit davon bis Kriegsende. 26 Prozent sehen langfristig ihre Zukunft in Deutschland und möchten für immer bleiben. 27 Prozent wissen noch nicht, ob und wie lange sie in Deutschland bleiben wollen.
  • Neun von zehn ukrainischen Geflüchteten haben einen Beratungs- oder Unterstützungsbedarf in mindestens einem Lebensbereich. Übergreifend zeigen sich hohe Bedarfe beim Lernen der deutschen Sprache (48 %), bei der Suche nach Arbeit (38 Prozent), im Bereich der medizinischen Versorgung (33 %), der Wohnungssuche (31 Prozent) und der Anerkennung von Abschlüssen (31 %).
Deutschkenntnisse und Sprachkursbesuch

  • Nur wenige ukrainische Geflüchtete verfügen über gute deutsche Sprachkenntnisse. Lediglich 4 Prozent schätzen ihre Deutschkenntnisse als gut, weitere 14 Prozent als mittel und 83 Prozent als schlecht ein.
  • Bessere Deutschkenntnisse liegen insbesondere dann vor, wenn sie bereits erwerbstätig oder jünger sind, langfristig in Deutschland bleiben möchten, bereits einen Deutschkurs besuchen und über eine höhere Bildung verfügen.
  • Ein Sprachkurs wird vielfach bereits kurz nach der Ankunft besucht. Nach zwei Monaten besuchten 9 Prozent, nach vier Monaten 32 Prozent und nach sechs Monaten 49 Prozent einen Deutschkurs.
Der Weg in den deutschen Arbeitsmarkt

  • 17 Prozent der Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter sind zum Befragungszeitpunkt erwerbstätig. Davon üben 80 Prozent eine Fachkraft-, Spezialisten- oder Expertentätigkeit aus.
  • Unter den noch nicht erwerbstätigen ukrainischen Geflüchteten will ein hoher Anteil (knapp 80 %) eine Erwerbstätigkeit in Deutschland aufnehmen.
  • Höhere Bildungsabschlüsse, gute Sprachkenntnisse und frühere Erwerbstätigkeit im Heimatland stehen in einem positiven Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit, erwerbstätig zu sein, und mit einem höheren beruflichen Status.
  • Geflüchtete Männer sind häufiger erwerbstätig als geflüchtete Frauen. Frauen mit Kindern sind eher erwerbstätig, wenn Kinderbetreuungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Familiäre Situation

  • Knapp die Hälfte (47 %) der ukrainischen Geflüchteten sind mit minderjährigen Kindern nach Deutschland gekommen (Frauen: 48 %, Männer: 44 %).
  • Mehr als jede zehnte ukrainische Familie mit minderjährigen Kindern in Deutschland hat noch mindestens ein weiteres Kind außerhalb Deutschlands.
  • Bei rund 60 Prozent der geflüchteten Frauen mit Partner hält sich dieser in der Ukraine oder einem anderen Land auf.
  • Die Absicht, noch im Ausland lebende Kinder oder Partner nachzuholen, ist besonders hoch bei einer dauerhaften Bleibeabsicht in Deutschland und wenn die Eltern noch jünger sind.
Geflüchtete Kinder und Jugendliche

  • Kinder und Jugendliche aus der Ukraine besuchen bereits sehr häufig deutsche Schulen.
  • Die Teilnahme am Online-Unterricht ukrainischer Schulen erfolgt in der Regel zusätzlich zum Besuch deutscher Schulen und ist auch von der Bleibeabsicht der Eltern abhängig.
  • Ein Besuch von Kindertageseinrichtungen findet bereits häufig statt – insbesondere bei Kindern zwischen drei und sechs Jahren und wenn die Mütter erwerbstätig sind oder an einem Sprachkurs teilnehmen.
  • Das psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine ist im Vergleich zu anderen Gleichaltrigen in Deutschland geringer.
Soziale Integration

  • Die Hälfte der ukrainischen Geflüchteten verbringt häufig Zeit mit Menschen aus der Ukraine, die keine Familienangehörigen sind. Nur 9 Prozent verbringen nie Zeit mit anderen Menschen aus der Ukraine.
  • Fast die Hälfte (44 %) der ukrainischen Geflüchteten verbringt bereits häufig Zeit mit Deutschen. Gute Deutschkenntnisse und die Teilnahme am Arbeitsmarkt scheinen dies deutlich zu begünstigen. Auch verbringen Geflüchtete häufiger Zeit mit Deutschen, wenn sie auf Dauer hier bleiben möchten.
  • Ein Viertel (26 %) der ukrainischen Geflüchteten fühlt sich einsam und somit weniger sozial eingebettet als gewünscht. Dies trifft insbesondere bei älteren und alleinstehenden Geflüchteten zu sowie auf Menschen, deren Partner im Ausland lebt.
Gesundheit

  • Ukrainische Geflüchtete fühlen sich weitgehend gesund.
  • 69 Prozent der ukrainischen Geflüchteten machen sich große Sorgen um zurückgebliebene Familienmitglieder.
  • Die allgemeine Lebenszufriedenheit der Geflüchteten ist vergleichsweise gering und hängt ab vom Willkommensgefühl, den Bleibeabsichten, der Art der Unterbringung und der familiären Situation.
Fazit

  • Die Ergebnisse der IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP Befragung zeichnen ein differenziertes Bild der seit Kriegsbeginn nach Deutschland geflüchteten Ukrainern und Ukrainerinnen.
  • Auf der einen Seite führen die relativ günstigen Rahmenbedingungen für Flucht, Ankommen und Integration zu ersten positiven Entwicklungen u.a. bei der Wohnsituation, Sprachkursteilnahmen, Arbeitsmarktpartizipation und der Betreuungssituation der Kinder.
  • Auf der anderen Seite zeigen sich Bereiche mit weiterhin hohen Herausforderungen – so die weitere Verbesserung der Sprachkompetenzen, der Transfer von Bildungsqualifikationen und Erwerbstätigkeit in qualifikationsadäquaten Beschäftigungsverhältnissen, die soziale Einbettung und das Wohlbefinden insbesondere bei den Kindern sowie die Problematik getrennter Familien.

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